Rechtsprechung

Inflationsausgleichsprämie und Elternzeit

In einem vielbeachteten Urteil des Arbeitsgerichts Essen (ArbG Essen, Urteil vom 16.04.2024 – 3 Ca 2231/23) ging es um die Frage, ob ein Tarifvertrag MItarbeiter/-innen in Elternzeit von der Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie ausschließen könne. Nein, so noch das Arbeitsgericht Essen -und begründete seine Entscheidung vor allem mit einer Diskrminierung. Ein Tarifvertrag, der Arbeitnehmer in Elternzeit von der Inflationsausgleichszahlung ausschließt, diskriminiert nach Auffassung der Essener Gerichts insbesondere Mütter, da sie häufiger und länger Elternzeit nehmen.

In der Berufungsinstanz entschied nun jedoch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 14. August 2024 – 14 SLa 303/24, noch nicht veröffentlicht), dass die Tarifvertragsparteien  den Bezug von Entgelt an mindestens einem Tag als Anspruchsvoraussetzung für den Inflationsausgleich festlegen dürfen. Weil das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit – ausgenommen die Teilzeittätigkeit – ruht, erfüllte die hier betroffene Arbeitnehmerin diese Voraussetzung nicht und hatte deshalb auch keinen Entgeltanspruch.

Das Landesarbeitsgericht ließ die Revision zu - daher darf man gespannt warten, ob sich letztendlich auch noch das BAG mit dieser Frage beschäftigen wird.

Die Tarifverträge zur Inflationsausgleichsprämie im AG-VPK sehen im Übrigen eine Regelung vor, die -ähnlich wie im hier vorliegenden Ausgangsfall- ebenfalls den Anspruch auf Arbeitsentgelt zur Voraussetzung für die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie machen. Ein Anspruch auf Zahlung der Inflationsausgleichsprämie besteht  deshalb auch in den Tarifverträgen des AGVPK nicht in der Elternzeit. Betroffenen Einrichtungen wird aber empfohlen, aus Sicherheitsgründen eine entsprechende Rückstellung zu kalkulieren und selbstverständlich auch im Entgelt zu berücksichtigen für den Fall, dass das BAG die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts kippen sollte.

26.08.24 MdC

 

 

 

BFH zur Steuerfreiheit von Nachtzuschlägen

In dem jetzt erst veröffentlichten Urteil vom 11.04.2024 (Az. VI R 1/22) setzt sich der BFH mit der Steuerfreiheit von Nachtzuschlägen auseinander.

In den Leitsätzen heißt es dazu:

1. Die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Bereitschaftsdienste, die außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit erbracht und gesondert vergütet werden, bemisst sich nach dem Arbeitslohn für die regelmäßige Arbeitszeit und nicht nach dem Bereitschaftsdienstentgelt (entgegen Senatsurteil vom 27.08.2002 - VI R 64/96, BFHE 200, 240, BStBl II 2002, 883).

2. Nicht erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer für die zuschlagsbewehrte Tätigkeit neben den Erschwerniszuschlägen einen Anspruch auf Grundlohn hat.

 

Die Entscheidung betrifft direkt eine Einrichtung der Jugendhilfe, die sich bei der Vergütung (soweit ersichtlich) von Nachtzuschlägen am TVöD orientiert. Nun bemisst der TVöD Nachtzuschläge nach einem fiktiven Lohn, der nicht dem Bereitschaftsdienstentgelt entspricht sondern weitgehend dem normalen Tabellenentgelt. Zu Lasten der Sozialversicherer werden deshalb im TVöD die Zuschläge anders berechnet als in Tarifverträgen, die Nachtzuschläge auf den Grundlohn berechnen.

Ob diese Entscheidung tatsächlich rein juristischer Methodik unterlag sei dahingestellt. Wäre die Entscheidung anders ausgefallen, dann wären auf die Kommunen sicherlich sehr deutliche Forderungen zugekommen. Die Sozialversicherer werden hier nun das Nachsehen haben.

Für die Gestaltung von Anreizsystemen in Tarifverträgen öffnet das Urteil jetzt sehr weit alle Türen und Tore. Wir werden dranbleiben.

29.07.2024 MdC

PS.: Das Urteil hätte eine ausführlichere Besprechung verdient, die aber schon Fachkollegen von Juris vorgenommen haben

Abgrenzung Rufbereitschaft und Bereitschaft

Wie schwierig die Abgrenzung zwischen Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst ist zeigt erneut eine aktuelle Gerichtsentscheidung, diesmal das Urteil des LAG Düsseldorf v. 16.04.24 (Az 3 SLa 10/24), in dem es um Notdienste eines Kundendiensttechnikers ging.

In den Leitsätzen heißt es dazu:

1. Notdienste eines Kundendiensttechnikers, die dadurch gekennzeichnet sind, dass er sich an einem frei wählbaren Ort aufhalten kann, aber telefonisch erreichbar sein und zu einem Notdiensteinsatz binnen einer Stunde am Einsatzort eintreffen muss, wenn er angefordert wird, sind Rufbereitschaftsdienste und keine Bereitschaftsdienste, wenn unter Berücksichtigung der Anfahrtszeit noch jedenfalls 30 Minuten Zeit verbleiben, bis der Arbeitnehmer aufbrechen muss. Das gilt jedenfalls dann, wenn eine tatsächliche Anforderung im Notdienst äußerst selten vorkommt - im vorliegenden Fall lediglich in einem Umfang von 0,67% der Gesamt-Notdienstbereitschaftszeit..

2. Liegt arbeitsschutzrechtlich Rufbereitschaft und kein Bereitschaftsdienst vor, handelt es sich um Ruhezeit im Sinne von § 5 ArbZG. Der vergütungsrechtliche Arbeitszeitbegriff folgt hier dem arbeitsschutzrechtlichen, so dass - soweit keine gesonderte Regelung im Arbeitsvertrag, in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen zur Anwendung gelangt - keine Vergütungspflicht besteht. Ausgenommen hiervon sind die Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung im Rahmen der Aktivierung aus dem Notdienst heraus, die als Vollarbeit zu vergüten sind.

3. Auch das Mindestlohngesetz knüpft an geleistete Zeitstunden an und mithin an den vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff. Arbeitsschutzrechtliche Ruhezeit ist weder arbeitsschutz-noch vergütungsrechtlich Arbeitszeit und begründet daher auch keine Mindestlohnansprüche.

Die Entscheidung schließt an bisherige REchtsprechung an und wird deshalb nicht gesondert kommentiert.

 

29.07.24 MdC

Urlaubsabgeltung und Mindestlohn

Maßgeblich für die Berechnung der Urlaubsabgeltung ist der hypothetische Verdienst des Arbeitnehmers in den letzten 13 Wochen vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn dieser bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt war. Der Urlaubsabgeltung ist deshalb der zur Zeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltenden Mindestlohn zugrunde zu legen, nicht derjenige, der zum Zeitpunkt der letzten Erbringung der Arbeitsleistung galt. Mit dieser Entscheidung vom 12.04.2024 (Az 14 Sa 1714/22) hat sich das Hessische LAG entgegen dem LAG Thüringen (28.04.2021 - 6 Sa 304/18) zu einer anderen Berchnungsweise entschieden. Klarheit wird nun wohl erst eine Entscheidung des BAG bringen.

 

29.07.24 MdC

Zumutbare Arbeit (§ 11 KSchG)

Mit Urteil vom 15.05.2024 (Az. 14 SLa 81/24) hat das LAG Düsseldorf entschieden, dass eine Arbeit ist nicht zumutbar iSv. § 11 Nr. 2 KSchG ist, wenn der Nettoverdienst nur geringfügig höher als das Arbeitslosengeld I ist, Kosten für die Arbeitswege mit dem Pkw anfallen, zu befürchten ist, dass der gekündigte Arbeitnehmer seine Expertise bei der anderen Tätigkeit verliert, sowie Probleme bei der Kinderbetreuung bestehen.

 

29.07.24 MdC

 

Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst im häuslichen Umfeld

Die Abgrenzung von Rufbereitschaft und Bereitschaft erweist sich in der Praxis manchmal als schwierig, da auf Grund der vom EuGH entwickelten Kriterien verschiedene Faktoren für die Bewertung herangezogen werden müssen. Dazu gehören der Grad der EInschränkung, der Ort, die Häufigkeit der Inanspruchnahme etc.

Wie das aber im eigenen häuslichen Umfeld zu bewerten ist, dazu gab es bislang keine Rechtsprechung. Mit Urteil des LAG Niedersachsen (Urt. v. 06.12.2023, Az.: 2 Sa 142/23) hat sich dies nun geändert. Im Leitsatz des Urteils heisst es:

"Mit dem Mindestlohn zu vergütende Arbeit ist nicht nur die Vollarbeit, sondern auch die Bereitschaft. Dem gegenüber sind Zeiten der Rufbereitschaft als solche (anders die Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft) keine vergütungspflichtige Arbeitszeit. Wenn der Arbeitsplatz die Wohnung des Arbeitnehmers einschließt oder mit ihr identisch ist, reicht der bloße Umstand, dass der Arbeitnehmer während der vorgegebenen Bereitschaftszeit an seinem Arbeitsplatz bleiben muss, um dem Arbeitgeber erforderlichenfalls zur Verfügung stehen zu können, nicht aus, um diesen Zeitraum als Arbeitszeit im Sinne der RL 2003/88/EG einzustufen. In diesem Fall bedeutet das Verbot für den Arbeitnehmer, seinen Arbeitsplatz zu verlassen, nämlich nicht zwangsläufig, dass er sich außerhalb seines familiären und sozialen Umfelds aufhalten muss. Außerdem ist ein solches Verbot für sich genommen weniger geeignet, diesem Arbeitnehmer die Möglichkeit zu nehmen, während der Bereitschaftszeit über die Zeit, in der er nicht in Anspruch genommen wird, frei zu verfügen (vgl. EuGH, 9. September 2003 C 151/02 Rn. 65; EuGH, 9. März 2021 C 344/19 Rn. 43). Eine Bereitschaftszeit, die von Montag bis Donnerstag den Zeitraum von 16.15 Uhr bis 7.00 Uhr des darauffolgenden Tages umfasst, betrifft einen Zeitraum, in dem ein Arbeitnehmer sich regelmäßig innerhalb seines familiären und sozialen Umfelds aufhält und er infolge der Ortsbeschränkung kaum Einschränkungen bezüglich seines Freizeitverhaltens unterliegt. Da das von dem Arbeitnehmer im Streitfall zu betreuende Telefon auf den zuständigen Meister umsprang, sofern er den Anruf nicht bis zum 4. Klingelzeichen an genommen hatte, unterlag er keiner relevanten Einschränkung bezüglich seines Aufenthaltsortes während der eingeteilten Dienstzeit. Wenn ein Arbeitnehmer in einem Bereitschaftszeitraum vom Januar bis Mai 2022 lediglich 20 Anrufe entgegennimmt, stellt sich die Bereitschaftszeit auch unter Berücksichtigung der Kriterien Häufigkeit und Dauer des Einsatzes als Rufbereitschaft dar."

Auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass es in der Entscheidung um sog. "innewohende Fachkräfte" ging. Dem war aber nicht so. Es handelte sich hier um eine Stelle, die im Rahmen des Entstörungsmanagements für Gasnetzbetreiber und Wasserversorgungsunternehmen dafür zu sorgen hatte, dass eigehende (Not-) Anrufe sofort bearbeitet werden konnten.

Trotz allem ist die Entscheidung u.E. für die Jugendhilfe relevant, da gerade bei "Innewohnenden" ebenfalls eine Tätigkeit im eigenen (!)  häuslichen Umfeld vorliegt. Auch ansonsten ist die Entscheidung lesenswert, da sie noch einmal klar die Kriterien der Rechtsprechung benennt, die zur Diefferenzierung zwischen Rufbereitschaft und Bereitschaft erforderlich sind.

 

14.06.2024 MdC

Verfall von tarifvertraglichem Mehrurlaub?

Kann tarifvertraglich geregelter Mehrurlaub trotz fehlender Belehrung des Arbeitegbers verfallen? Ja, so das BVerwG in seinem Urteil v. 11.04.2024 - Az 2 A 6.23. Die Entscheidung betrifft aber den Mehrurlaub von Beamten, die keine Arbeitnehmer sind. Trotz allem lässt das Urteil einen Spielraum erkennen, der auch für tarifvertragliche Regelungen bei Arbeitnehmer/-innen Auswirkungen haben könnte. In den Leitsätzen des BVerwG heisst es:

1. Das gemäß § 126 Abs. 3 BRRG, § 126 Abs. 2 Satz 1 BBG i. V. m. §§ 68 ff. VwGO in allen beamtenrechtlichen Streitverfahren vor der Klageerhebung durchzuführende Vorverfahren kann als Sachurteilsvoraussetzung noch während des Prozesses nachgeholt werden.

2. Die Regelung über den Verfall des Urlaubs in § 7 Abs. 2 EUrlV ist von der Verordnungsermächtigung des § 89 Satz 2 BBG gedeckt.

3. Der Verfall des Mehrurlaubs tritt nach § 7 Abs. 2 EUrlV unabhängig davon ein, ob der Kläger von seinem Dienstherrn über diesen Umstand belehrt worden ist. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu den Belehrungspflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer zum Verfall des Urlaubsanspruchs betrifft ausschließlich den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub, nicht hingegen einen darüber hinausgehenden Mehrurlaub.

Mit dieser Entscheidung führt das BVerwG richtigerweise aus, dass der EuGH die Geltung seiner Rechtsprechung zu Art. 7 RL 2003/88/EG folglich nur für den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub beansprucht. Der darüberhinausgehende Mehrurlaub sei dagegen rein nationalrechtlich zu beurteilen.

Das Bundesarbeitsgericht vertritt hierzu im Übrigen aber auch keine hierzu abweichende Rechtsprechung, sondern kommt lediglich aufgrund anderer normativer Regelungen im Bundesurlaubsgesetz und in Tarifverträgen teilweise zu dem Ergebnis, dass sich Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers auch auf tarifvertragliche Urlaubsregelungen erstrecken können.

14.06.2024 MdC

Kontakt

Arbeitgeberverband privater Träger
der K
inder- und Jugendhilfe e.V.

Nikolaiwall 3

27283 Verden

Tel 04231 - 95 18 412

Mail: info@ag-vpk.de

Internet: www.ag-vpk.de

 

Kontaktformular

agv logo white

 

 

 

 

 

    gew logo white

HINWEIS! Diese Seite verwendet Cookies. Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden.