Rechtsprechung

Zugang einer Kündigung

"Wird ein Kündigungsschreiben per Einwurf-Einschreiben übersendet und legt der Absender den Einlieferungsbeleg und die Reproduktion des Auslieferungsbeleges mit der Unterschrift des Zustellers vor, spricht der Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens beim Empfänger"

So das LArbG Nürnberg in seinem Urteil v. 15.06.2023 (Az. 5 Sa 1/23)

Das ist nicht neu und das Landesarbeitsgericht schließt sich damit der bisherigen Rechtsprechung an (z.B.  BGH vom 27.09.2016 – II ZR 299/15; LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 12.03.2019 – 2 Sa 139/18; LAG Baden-Württemberg vom 28.02.2021 – 4 Sa 68/20 und LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18.01.2020 – 1 Sa 159/21).

Das Gericht hebt damit auch noch einmal hervor, dass allein ein Einlieferungsbeleg eines Einschreibens nicht ausreicht, um den Zugang einer Kündigung nachzuweisen. Es bedarf hier auch i.d.R. immer den entsprechenden Auslieferungsbeleg des Zustellers.Solche Auslieferungsbelege müssen gesondert bei der Post angefordert werden.

Statusfestellungsverfahren: Studentische Kräfte als Arbeitnehmer

Im hier vom LSG Sachsen-Anhalt entschiedenen Fall (Urteil v. 13.07.2023, L 3 BA 26/21) ging es um die Frage, ob die studentischen Honorakräfte des betroffenen gemeinnützigen Vereins sozialversicherungspflichtig Beschäftigte sind oder aber "freie" Mitarbeiterinnen auf Honorarbasis. Das LSG entschied hier zu Gunsten der Rentenversicherung, welche die Tätigkeit als sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis eingestuft hatte.

Interessant ist die Begründung, in der das Gericht u.a. ausführt:

"In der Gesamtschau wird im Übrigen die Eingliederung der Beigeladenen ... auch durch weitere Gesichtspunkte gestützt. Zwar ist allein ein öffentlich-rechtlicher Regelungskontext für eine Tätigkeit nicht ausreichend, um eine Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers festzustellen (vgl. für Jugendhilfe im häuslichen Umfeld BSG, Urteil vom 25. April 2012 - B 12 KR 24/10 R -, RdNr. 19; BSG, Urteil vom 14. März 2018, a.a.O., RdNr. 17ff.). Diese Rechtsprechung bezieht sich aber im Wesentlichen auf einen lediglich vorhandenen Organisationsrahmen des Tätigkeitsortes. Das BSG hat seine Rechtsprechung insbesondere für die Honorarärzte und Honorarpflegekräfte überzeugend dahingehend konkretisiert, dass strenge organisatorische Vorgaben für Arbeitsfeld und Arbeitsort ein starkes Indiz für eine Eingliederung in den Betrieb sind (...). Dies muss nach Auffassung des hier erkennenden Senats im vorliegenden Fall umso mehr gelten, als es sich erstens um eine Tätigkeit in einer staatlichen oder unter staatlicher Aufsicht stehenden Einrichtung, zweitens um eine Tätigkeit mit (Klein-)Kindern und drittens um eine Tätigkeit mit Bezug zu den sensiblen Themen Gewalt und Missbrauch handelt."

Damit dürfte die Entscheidung auch für eine Vielzahl von Jugendhilfeeinrichtungen relevant sein. Ansonsten findet sich in der Entscheidung eine gute Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung.

 

Zum Beweiswert einer AUB

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat sich in seiner Entscheidung vom 21.03.2023  (Az. 2 Sa 156/22) mit dem Beweiswert vorgelegter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen befasst.

Das Ergebnis der Entscheidung wird in folgenden Leitsätzen nachvollziehbar:

1. Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen.

2. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Der Arbeitgeber ist dabei nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt ( BAG, Urteil vom 08.09.2021 - 5 AZR 149/21 - Rn. 13, juris).

3. Erforderlich ist die konkrete Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung des hohen Beweiswertes von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.

4. Eine subjektive Betrachtung kann nicht den entscheidungserheblichen Maßstab darstellen. Vielmehr ist es notwendig, dass nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers objektiv greifbare, belastbare Tatsachen feststellbar und gegebenenfalls beweisbar sind, die ein Ergebnis der ernsthaften Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung tragen können. Liegen dagegen lediglich objektiv mehrdeutige, plausibel erklärbare Sachverhalte vor, sind diese jedenfalls grundsätzlich nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründen zu können ( LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 08.02.2023 - 3 Sa 135/22 - Rn. 31, juris).

5. Möchte ein Arbeitgeber die Entfernung privater Gegenstände aus dem Betrieb anführen, um zu belegen, dass ein Arbeitnehmer nicht mehr in den Betrieb habe zurückkommen, also keinerlei Arbeitsleistung mehr habe erbringen wollen, muss er die privaten Gegenstände benennen, welche der Arbeitnehmer im Betrieb aufbewahrt und die er sodann entfernt hat. Die pauschale Behauptung fehlender privater Gegenstände in dem Betrieb ist nicht geeignet, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern.

Anders als vom BAG in seiner Entscheidung vom 8.09.2021 (s.o.) formuliert, erschwert das LAG MVP damit die Voraussetzungen, unter denen Arbeitgeber bei berechtigten Zweifeln den Beweiswert einer AUB anzweifeln können.

Auch das LAG Düsseldorf hat mit Urteil vom 03.01.2023 (Az 3 Sa 468/22) die Anforderungen an die Erschütterung des Beweiswertes einer AUB hoch gehängt. In dem Fall ging es um eine "kollektive Krankschreibung", zu der das LAG ausführte: "Eine Erschütterung des Beweiswertes einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt in Betracht, wenn hinreichende Indizien für ein kollusives Zusammenwirken mehrerer Arbeitnehmer zur zeitgleichen "Krankschreibung" mit dem Ziel der Schädigung des Arbeitgebers vorliegen. Das bloße zeitliche Zusammentreffen mehrerer Krankheitsausfälle als solches begründet jedoch kein solches Indiz, sondern ist für sich genommen neutral. Hinzutreten müssen weitere Umstände, wie beispielsweise bestimmte Äußerungen oder Verhaltensweisen der betreffenden Arbeitnehmer, die auf ein kollusives Zusammenwirken schließen lassen."

 Deutlich arbeitgeberfreundlicher zeigte sich das LAG Schleswig-Holstein mit seinem Urteil v. 2.05.2023 (Az 2 Sa 203/22). Hier unterlag der Arbeitnehmer. Das LAG führte zu seinem Urteil im Leitsatz aus:

"Der Text eines Kündigungsschreibens einer Eigenkündigung in Verbindung mit einer bereits kurz vorher eingereichten Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin sowie die Würdigung der Gesamtumstände nach einer Zeugenaussage des behandelnden Arztes können den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern." und ergänzte um zwei weitere Orientierungssätze:


"1. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Die den Beweiswert erschütternde Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben.

2. Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, so tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen."

 

Eine klare Linie ist somit nur vermeintlich erkennbar - und ob sich der Streit im Einzelfall lohnt, das muss sorgfältig abgewogen werden.

 

 

 

 

 

BEM nur wirksam mit entsprechender datenschutzrechtlicher Belehrung

Will ein Arbeitgeber personenbedingt wegen Krankheit kündigen, muss er zuvor ordnungsgemäß ein BEM ("Betriebliches Eingliederungsmanagement") angeboten haben. Das Angebot setzt (auch!)  eine zutreffende und umfassende Information über die Datenerhebung und -erfassung voraus. Bei Fehlern des Arbeitgebers ist eine spätere Kündigung unverhältnismäßig. So eine aktuelle Entscheidung des Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG Niedersachsen, 05.09.2022 - 4 Sa 205/22)

Zur Steuer- und Beitragsfreiheit zusätzlicher Leistungen des Arbeitgebers

Mit Urteil v. 12.05.2023 hat das LSG Baden-Württemberg (AzL 8 BA 373/22) die Grundsätze zur Gewährung von steuer- bzw. beitragsfreien (Zusatz-) Leistungen des Arbeitgebers konkretisiert.
In den Leitsätzen heisst es dazu:
 

1. Bei der Prüfung, ob von einem Arbeitgeber durch Entgeltumwandlung gewährte Zusatzleistungen in Gestalt von Internetpauschalen, Kindergartenzuschüssen, Kosten für Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstätte sowie Restaurantgutscheinen beitragspflichtiges Arbeitseinkommen gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IV iVm § 1 § 1 Abs. 1 S. 1 SvEV darstellen, ist auf die arbeitsvertraglich geregelten Entgeltmodalitäten abzustellen. Insofern kommt es nicht auf die davor geltenden Vergütungsmodalitäten an, sondern es sind ausschließlich die im Zeitpunkt des Zuflusses der zu prüfenden Leistungen geltenden arbeitsvertraglichen Regelungen zu prüfen (vgl. BFH, Urteil vom 01.08.2019 – VI R 32/18 –, juris Rdnr. 20 ff.).
2. Vom Arbeitgeber durch Entgeltumwandlung unter Freiwilligkeitsvorbehalt und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht für die Zukunft gewährte Zusatzleistungen stellen dann kein beitragspflichtiges Einkommen dar, wenn es sich bei den freiwilligen Zusatzleistungen um von der Grundvergütung rechtlich getrennte Leistungen und nicht um Surrogate derselben handelt. Dies ist dann der Fall, wenn die durch die Entgeltumwandlung verminderte Grundvergütung auch bei Wegfall der Zusatzleistung weiterhin gilt und daher in einem solchen Fall nicht automatisch wieder Anspruch auf die Grundvergütung in der ursprünglichen Höhe besteht. Da allein die rechtliche Abtrennbarkeit und Eigenständigkeit maßgeblich ist, ist die Ausweisung der Verminderung der Grundvergütung als Lohnverzicht in den Gehaltsabrechnungen kein maßgebliches Kriterium. Wesentlich ist vielmehr, dass die Höhe und das Fortbestehen der Verringerung der Grundvergütung rechtlich getrennt und unabhängig vom Bestand der freiwilligen Leistungen vereinbart wurden.

Überstundenvergütung

In einer aktuellen Entscheidung beschäftigt sich das LAG Hamm (Urteil v. 24.05.2023, Az 9 Sa 1231/22) mit dem (i.Ü. ständig wiederkehrenden) Thema Überstundenvergütung. Auszugsweise heisst es dort:

"Die Arbeitgeberin ist gemäß § 611a Abs. 2 BGB zur Gewährung der vereinbarten Vergütung für die vereinbarte Arbeitsleistung verpflichtet. Legen die Parteien einen bestimmten zeitlichen Umfang der zu erbringenden Arbeitsleistung fest, betrifft die Entgeltzahlungspflicht zunächst (nur) die Vergütung der vereinbarten Normalarbeitszeit. Erbringt der Arbeitnehmer Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang, ist die Arbeitgeberin zu deren Vergütung nur verpflichtet, wenn sie die Leistung von Überstunden veranlasst hat oder sie ihr zumindest zuzurechnen ist. Insoweit trifft den Arbeitnehmer bzgl. der anspruchsbegründenden Umstände die Darlegungs- und Beweislast. Die Arbeitgeberin muss sich Leistung und Vergütung von Überstunden nicht aufdrängen lassen. Der Arbeitnehmer kann nicht durch überobligatorische Mehrarbeit seinen Vergütungsanspruch selbst bestimmen (vgl. BAG 4. Mai 2022 – 5 AZR 474/21; BAG 4. Mai 2022 – 5 AZR 359/21; BAG 10. April 2013 – 5 AZR 122/12). Für die arbeitgeberinnenseitige Veranlassung und Zurechnung als – neben der Überstundenleistung – weitere Voraussetzung eines Anspruchs auf Überstundenvergütung müssen Überstunden von der Arbeitgeberin angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sein (st. Rspr., vgl. BAG 4. Mai 2022 – 5 AZR 474/21; BAG 4. Mai 2022 – 5 AZR 359/21; BAG 10. April 2013 – 5 AZR 122/22). Auch für diese Voraussetzung trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BAG 4. Mai 2022 – 5 AZR 474/21; BAG 4. Mai 2022 – 5 AZR 359/21; BAG 25. März 2015 – 5 AZR 602/13; BAG 10. April 2013 – 5 AZR 122/22)."

Insofern trägt die Entscheidung nichts Neues zu diesem Thema bei, fasst aber die bisherige Rechtsprechung gut zusammen.

Coronasonderzahlung im öffentlichen Dienst auch in Freistellungsphase

Auch Arbeitnehmer, die sich am 01.10.2023 in der Freistellungsphase ihrer Altersteilzeit befanden, haben nach dem "TV Corona-Sonderzahlung" des öffentlichen Dienstes  Anspruch auf die Zahlung dieser Prämie. Dies ergibt sich nach Auffassung des BAG bereits aus dem Wortlaut des Tarifvertrages.

Danach hängt die Corona-Sonderzahlung allein vom Bestehen des Arbeitsverhältnisses (zum tarifvertraglich festgelegten Stichtag)  und eines Entgeltanspruchs an einem Tag im Referenzzeitraum ab. Eine tatsächliche Arbeitsleisrtung wird dagegen nicht vorausgesetzt.

 

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