Rechtsprechung

Arbeitszeitrecht bei mehrtägigen Dienstreisen

Ein neues  Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. September 2024 (Az: 2 C 19.23) befasst sich mit der arbeitszeitrechtlichen Einordnung eines mehrtägigen Einsatzes der Bereitschaftspolizei. Der Kläger, ein Polizeihauptmeister, forderte, dass die Zeiten zwischen den (auswärtigen!) Einsätzen, die als Ruhezeit betrachtet wurden, zur Hälfte auf seine Arbeitszeit angerechnet werden. Das Gericht wies die Revision des Klägers zurück und entschied, dass diese Zeiten nicht als Arbeitszeit oder Bereitschaftsdienst anzurechnen sind, da der Kläger während dieser Zeiten keinen erheblichen Einschränkungen unterworfen war.

In den Leitsätzen des BVerwG lautet es dazu:

1. Das unionsrechtliche Arbeitszeitrecht, das lediglich die Kategorien Arbeits- und Ruhezeit kennt, hindert den nationalen Normengeber nicht, eine Zeit während einer mehrtägigen Dienstreise, die unionsrechtlich lediglich Ruhezeit ist, wegen der damit für den Beamten verbundenen Einschränkungen (ganz oder teilweise) auf das Arbeitszeitkonto anzurechnen.

2. Der Begriff der "Wartezeit" in § 13 Abs. 3 ThürPolAzVO a. F. erfasst bei einer mehrtägigen Dienstreise im Rahmen eines geschlossenen Einsatzes der Bereitschaftspolizei nicht den Zeitraum zwischen dem Ende der dienstlichen Tätigkeit oder der Reise an einem Tag und dem Beginn der dienstlichen Tätigkeit oder der Reise an einem anderen Tag.

 

Auf die beamtenrechtlichen BEsonderheiten soll hier nicht weiter eingegangen werden; gleichwohl sah das Gericht hinsichtlich der europäischen Arbeitszeitrichtlinie in diesem Verfahren auch keine Arbeitszeit während der (auswärtigen) Unterbringung zwischen den EInsätzen. Der Kläger war während dieser dienstfreien Zeit keinen erheblichen Beschränkungen unterworfen. Die Polizisten waren nicht verpflichtet, sich während der dienstfreien Zeit in dem vom Dienstherrn zur Verfügung gestellten Hotel aufzuhalten; vielmehr konnten sie das Hotel ohne vorherige Erlaubnis verlassen und ihre Zeit nach eigenem Belieben gestalten. Außerhalb der Einsatzzeit bestand kein Alkoholverbot, außerdem mussten die Beamten während der hier fraglichen Zeiten nicht erreichbar sein.

Auch wenn das Urteil beamtenrechtlich noch einmal gesondert zu bewerten ist, so lassen sich doch auch einige Schlüsse für die Kinder- und Jugendhilfe ziehen. Insbesondere bei Ferienfreizeiten stellt sich immer wieder die Frage, ob die "auswärtige Zeit" nicht Arbeitszeit sei.  Wir haben dies als Verband immer bestritten, da Arbeitszeit stets voraussetzt, dass in dieser Zeit auch tatsächlich gearbeitet wird oder aber zumindest eine Bereitschaftsregelung greift. Sofern keine Anordnung erfolgt, ist auch im Feriengebiet keine Arbeitszeit gegeben, so lange die Mitarbeitenden nicht "Dienst" oder "Bereitschaft" haben. Gleichwohl empfiehlt sich immer eine gute Regelung auf Augenhöhe, so wie wir es immer in unseren Seminaren vermitteln.

11.11.2024 MdC

 

Gestaltung von Ruhepausen: BAG lässt flexible Bedingungen zu!

Verlangen betriebliche Erfordernisse eine flexible Festlegung der Pausen, ist der in § 4 Satz 1 ArbZG vorgesehenen Anforderung des „im Voraus feststehend“ nach Auffassung einer aktuellen Entscheidung des BAG (Urt. v. 21.08.24, Az 5 AZR 266/23) auch dann genügt, wenn der Arbeitnehmer jedenfalls zu Beginn der Pause weiß, dass und wie lange er nunmehr zum Zwecke der Erholung Pause hat und frei über die Nutzung dieses Zeitraums verfügen kann.

DerKläger hatte hier erfolglos versucht, die Pausenzeiten als Arbeitszeit darzustellen, da er im Pausenraum  immer in "Hab-Acht-Stellung" gewesen sei.

Das BAG führte dazu jedoch aus:

"Die Ruhepause iSv. § 4 ArbZG ist arbeitszeitrechtlich Ruhezeit (...). Art. 2 Nr. 1 der Arbeitszeit-RL definiert den Begriff Arbeitszeit als „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer … arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“. In Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie wird der Begriff Ruhezeit negativ definiert als „jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit“. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union schließen beide Begriffe einander aus. Für die Zwecke der Anwendung der Arbeitszeit-RL ist eine Zeitspanne entweder als Arbeitszeit oder als Ruhezeit einzustufen, weil die Richtlinie keine Zwischenkategorie vorsieht (...). Unter den Begriff Arbeitszeit iSd. Arbeitszeit-RL fallen solche Zeitspannen, während deren dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, die Zeit frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen (...). Erreichen die Einschränkungen keinen solchen Intensitätsgrad und erlauben diese es dem Arbeitnehmer, über seine Zeit zu verfügen und sich ohne größere Einschränkungen seinen eigenen Interessen zu widmen, liegt keine Arbeitszeit für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie vor (...)."

Im Streitfall hatte der Kläger – außer der subjektiven Befindlichkeit einer „Hab-Acht-Stellung“, in der er sich beim Aufenthalt in der Kantine während der streitgegenständlichen Pausen wegen des dortigen Monitors befunden haben will – nicht einmal ansatzweise Tatsachen vorgetragen, die die Annahme rechtfertigen könnten, er habe seine Pausen zwingend in der Kantine und dort mit Blick auf den Monitor verbringen müssen und ihm seien für die dort verbrachten Pausenzeiten von der Beklagten Einschränkungen von solcher Art auferlegt worden, dass sie seine Möglichkeit, die Zeit frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigten. Entsprechende Anweisungen der Beklagten hat der Kläger nicht nur nicht vortragen, vielmehr in der Berufungsverhandlung zu Protokoll erklärt, es habe weder eine Verpflichtung bestanden, sich während der Pause in der Kantine aufzuhalten, noch sei er im Falle einer am Monitor angezeigten Störung verpflichtet gewesen, „dass er von selbst an der Maschine erscheine“. Er hat auch für keinen einzigen Monat des Streitzeitraums eine Pause benannt, die er auf Anordnung eines Vorgesetzten zur Behebung einer Störung an einer Maschine ab- bzw. unterbrechen musste. Die Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls (dazu BVerwG 13. Oktober 2022 – 2 C 7.21 – Rn. 21 ff., BVerwGE 176, 382) ergibt damit, dass dem Kläger in den Ruhepausen keine Einschränkungen auferlegt waren, die ihn objektiv hinderten, sich zu entspannen und Tätigkeiten nach eigener Wahl zu widmen.

Das hier entschiedene Verfahren ist mit nicht unerheblicher Relevanz für die Kinder- und Jugendhilfe. Insbesondere Pausenzeiten dürfen nicht dazu genutzt werden, indirekt doch eine Art von "Notfallbereitschaft" einzurichten. Eine Pause ist nun einmal Pause und bleibt es auch. Einzig in Tarifverträgen kann von den starren Pasuenregelungen des Arbeitszeitgesetzes abgewichen werden. In den Tarifverträgen unseres Arbeitgeberverbandes haben wir davon Gebrauch gemacht und können deshalb -immer unter Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes- auch Pasuenzeiten während geeigneter Alleindienste ermöglichen. Einrichtungen ohne Tarif können dies nicht. Hier kann zwar ein flexibler Pausenbeginn eingerichtet werden (so das BAG in diesem Urteil), aber eine Aufsichtspflicht darf dann nicht mit der Pause verbunden werden.

 

11.11.24 MdC

 

 

Überstunden: Darlegungs- und Beweislast

In einem erst jetzt veröffentlichten Urteil des LAG Hamburg (Urteil vom 6.Februar 2024 , Az: 6 Sa 14/23) ging es um die (fehlende) Anordnung von Überstunden. Gleichwohl versuchte die Arbeitnehmerin (erfolglos) die angesammelten Überstunden geltend zu machen. In den Leitsätzen der Entscheidung heißt es:

1. Gerichte sind nicht verpflichtet, umfangreiche ungeordnete Anlagenkonvolute von sich aus durchzuarbeiten, um so die erhobenen Ansprüche zu konkretisieren. Erforderlicher Sachvortrag kann nicht durch die bloße Vorlage von Anlagen ersetzt werden. Werden aber tabellarische Aufstellungen konkret in Bezug genommen, die aus sich heraus verständlich sind, verlangt dies keine unzumutbare Sucharbeit des Gerichts. Es wäre eine nicht zu rechtfertigende Förmelei, wollte man die Partei für verpflichtet halten, eine solche Aufstellung kopieren oder abschreiben zu lassen, um sie in den Schriftsatz selbst zu integrieren.

2. Eine von der Arbeitgeberin für regelmäßig vorkommende Geschäfte erteilte Handlungsvollmacht betrifft die Vertretung des Unternehmens nach außen bei Geschäften mit Dritten und berechtigt den Arbeitnehmer nicht zu entgeltrelevanten "Überstundenanweisungen an sich selbst".

3. Die pauschale Behauptung, dass die Vielzahl der Aufgaben nicht in der vertraglichen monatlichen Arbeitszeit erledigt werden konnten, genügt nicht, um eine konkludente Anordnung von Überstunden durch den Arbeitgeber darzulegen. Denn es wird nicht deutlich, welche einzelnen Tätigkeiten in einem bestimmten Zeitraum (Tag, Woche, Monat) aufgrund der Aufgabenzuweisung durch die Arbeitgeberin von dem Arbeitnehmer zu erledigen waren, welche Zeit diese Tätigkeiten im Einzelnen beanspruchten und weshalb es nicht möglich war, die anfallenden Aufgaben innerhalb der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit zu erledigen.

4. Aus der bloßen Kenntnis der Geschäftsführerin der Arbeitgeberin von Stunden- und Arbeitsnachweisen ergibt sich noch kein Einverständnis mit der Leistung von Überstunden. Die widerspruchslose Entgegennahme der vom Arbeitnehmer gefertigten Arbeitszeitaufzeichnungen reicht nicht aus für die Billigung von Überstunden.

 

Die Entscheidung schließt an die bisherige Rechtsprechung an.

Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts?

Das Landesarbeitsgericht Hannover (Urteil v. 10. September 2024,Az: 10 SLa 221/24) befasst sich mit dem Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt für gleichwertige Arbeit und den damit verbundenen Auskunftsansprüchen. Die Klägerin, eine Tierärztin, forderte Auskunft über die Gehälter ihrer männlichen Kollegen, um eine geschlechtsbezogene Lohndiskriminierung nachzuweisen. Das Gericht wies die Klage ab, da die Klägerin nicht ausreichend darlegen konnte, dass sie die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit wie ihre männlichen Kollegen verrichtete und dass eine geschlechtsbezogene Benachteiligung vorlag.

Außerhalb des Entgelttransparenzgesetzes sah das Gericht keinen Auskunftsanspruch des Arbeitgebers, so dass in diesem Verfahren die Arbeitnehmerin bereits an der Darlegungs- und Beweislast scheiterte.  Wohl aber sah das Gericht, dass § 22 AGG  auch im Rechtsstreit um gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht maßgebend sei. Theoretisch hätte die Arebitnehmerin aber auch dazu entsprechende Inditien vortragen müssen. So muss eine Partei muss nach den unionsrechtlichen Vorgaben zur Begründung der Kausalitätsvermutung iSv. § 22 AGG nur darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass ihr Arbeitgeber ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als ihren zum Vergleich herangezogenen Kollegen des anderen Geschlechts und dass sie die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtet. Ist der Partei dies gelungen, reicht dies - auch unter Berücksichtigung des Gebots der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) - aus, um die Vermutung iSv. § 22 AGG zu begründen, dass die Entgeltungleichbehandlung wegen des Geschlechts erfolgt und eine Umkehr der Beweislast herbeizuführen.

Das schaffte die Arbeitnehemrin aber im entschiedenen Fall nicht.

 

 

Urlaub und Mutterschutz bzw. Elternzeit

Wie fatal es (für Arbeitgeber) werdn kann, wenn die Küzungsmöglichkeit des Urlaubsanspruchs in der Elternzeit nicht vorgenommen wird, das zeigt ein neues Urteil des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 16.04.2024 – 9 AZR 165/23).

Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG ist der Urlaub abzugelten, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Dies gilt nach § 17 Abs. 3 BEEG auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis im Anschluss an die Elternzeit nicht fortgesetzt wird.

Ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung setzt weiterhin voraus, dass zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch offene Urlaubsansprüche bestehen, die nicht mehr erfüllt werden können, weil das Arbeitsverhältnis beendet ist. Der Arbeitgeber muss deshalb Urlaubsansprüche in der Elternzeit aktiv kürzen, da diese Ansprüche sonst nicht verfallen.

Im hier entschiedenen Fall standen einer Arbeitnehmerin am Ende des Arbeitsverhältnisses deshalb noch 146 (!) Urlaubstage zu

 

Annahmeverzugslohn - Darlegungs- und Beweislast

Zur Darlegungs- und Beweislast beim Annahmeverzug hat sich das LArbG Stuttgart in seinem Urteil vom 11.September 2024  (Az: 4 Sa 10/24) befasst. Zusammengefasst werden kann die Entscheidung in 3 Leitsätzen:

1. Klagt der Arbeitnehmer nach einer unwirksamen Entlassung auf Zahlung von Annahmeverzugsentgelt, muss er sich gemäß § 11 Nr. 2 KSchG das anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Von der demnach erforderlichen Kausalität eines böswilligen Unterlassens für einen entgangenen anderweitigen Verdienst kann nur ausgegangen werden, wenn dem Arbeitnehmer die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit bekannt war bzw. bekannt gemacht wurde.

2. Im entsprechenden Rechtsstreit trägt der Arbeitgeber grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer eine zumutbare Tätigkeit gefunden hätte und dass er diese konkrete Tätigkeitsmöglichkeit nicht wahrgenommen hat. Hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bereits während des Annahmeverzugszeitraums konkrete Stellenangebote unterbreitet, obliegt es im Rahmen einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast dem Arbeitnehmer, so konkret wie möglich hierzu vorzutragen.

3. Eine Darlegungslast des Arbeitnehmers kann aber nicht ausgelöst werden, wenn der Arbeitgeber erst nach dem Ende des Verzugszeitraums ermittelte Stellenangebote vorträgt, die auf dem Internetportal "Jobbörse" der Agentur für Arbeit gestanden haben sollen.

 

 

Alarmbereitschaft als Arbeitszeit?

Das OVG Nordrhein-Westfalen entschied in seinen Urteilen v. 30.09.2024 (Az. 6 A 856/23 und 6 A 857/23),  dass Alarmbereitschaft als Arbeitszeit gilt und berief sich dabei auf das Europarecht. Zwei Feuerwehrmänner der Mühlheimer Feuerwehr bekommen daher nun finanzielle Entschädigung für geleistete Alarmbereitschaftszeiten.

Wie schwierig die Abgrenzung zwischen Rufbereitschaft, Bereitschaft und „Normalarbeit“ ist, das wurde bereits ausgiebig im letzten Blickpunkt Jugendhilfe erörtert. Ob mit diesem Urteil noch einmal weitere Aspekte der Bewertung von Arbeitszeit in die Rechtsprechung einfließen wird abzuwarten sein. Da das Urteil zum Redaktionsschluss noch nicht im Volltext vorlag, wird darauf ggf. in der kommenden Ausgabe noch einmal zurückzukommen sein.

Kontakt

Arbeitgeberverband privater Träger
der K
inder- und Jugendhilfe e.V.

Nikolaiwall 3

27283 Verden

Tel 04231 - 95 18 412

Mail: info@ag-vpk.de

Internet: www.ag-vpk.de

 

Kontaktformular

agv logo white

 

 

 

 

 

    gew logo white