Mit dem bereits im November 2019 verkündeten „Dritten Bürokratieentlastungsgesetz“ hat der Gesetzgeber u.a. die Vorlagepflicht der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für gesetzlich (Kranken-) Versicherte abgeschafft. Nach einigen Anläufen und Problemen wurde das Inkrafttreten jedoch immer wieder verschoben, doch jetzt ist absehbar, dass die Neuregelung zum 01.01.2023 in Kraft tritt.
Bislang ist es in Krankheitsfällen so, dass der Arbeitnehmer im Falle einer Erkrankung
- dem Arbeitgeber unverzüglich die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer mitzuteilen hat und
- spätestens am vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung über deren Bestehen sowie deren voraussichtliche Dauer vorzulegen hat.
Zu diesem Zweck erhalten Beschäftigte seither von ihrem Arzt drei Ausfertigungen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU): eine zur Übermittlung an die Krankenkasse, eine für ihre eigenen Unterlagen und zuletzt den „gelben Schein“, der ohne Angabe der Diagnose zur Vorlage beim Arbeitgeber dient. Der Arbeitgeber kann die Vorlage auch schon früher verlangen, sogar schon am ersten Tag der AU.
An der Mitteilungspflicht der Arbeitnehmer ändert sich auch zukünftig nichts. Auch nach dem 1. Januar 2023 müssen dem Arbeitgeber also weiterhin unverzüglich die AU und deren voraussichtliche Dauer mitgeteilt werden.
Die Verpflichtung zur Vorlage der AU beim Arbeitgeber entfällt jedoch zum 01.01.2023 bei den gesetzlich Krankenversicherten. Diese müssen ihre AU nur noch von einem Arzt feststellen lassen. Der Arzt wird den Arbeitnehmern zwar nach wie vor eine Bescheinigung aushändigen, die jedoch gerade nicht zur Vorlage beim Arbeitgeber dient, sondern für die eigenen Unterlagen gedacht ist und ggf. später auch zu Beweiszwecken dienen kann.
Zukünftig erhält der Arbeitgeber von der Krankenkasse eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Hierzu muss er aber selbst tätig werden und die vom Arzt an die Krankenkasse übermittelten Daten mittels gesicherter und verschlüsselter Datenübertragung abrufen. Die Krankenkassen erstellen dazu nach Eingang der Arbeitsunfähigkeitsdaten eine Meldung „zum Abruf für den Arbeitgeber“. Aus der bisherigen Bringschuld wird also eine Holschuld, die für Arbeitgeber deutlich arbeitsaufwändiger wird.
Allein der Datenabruf dürfte zumindest in Anfangszeit problembehaftet sein, da ein Pauschalabruf nicht möglich ist. Die eAU kann nur für den jeweiligen Arbeitnehmer und auch nur für den jeweiligen Zeitraum angefordert werden, was die genaue Angabe der Abrufdaten voraussetzt. Sofern das bei der Abfrage angegebene Datum mehr als fünf Tage vor dem bei der Krankenkasse gemeldeten Beginn der AU liegt, erfolgt möglicherweise die Antwort der Krankenkasse, dass gar keine Arbeitsunfähigkeit vorliegt.
Auch wenn die AU fortbesteht, muss die sog. „Folgebescheinigung“ durch den Arbeitgeber in einem weiteren Arbeitsschritt separat abgerufen werden.
Sofern der Arbeitgeber die Lohnbuchhaltung an einen Steuerberater oder ein Lohnbüro abgegeben hat, muss dieses zukünftig also die genauen Angaben zum Arbeitsunfähigkeitszeitraum erhalten, damit die erforderlichen Daten von der Krankenkasse auch von dort abgerufen werden können.
Nachteilig bei dem neuen Verfahren dürfte zudem sein, dass die eAU bedingt durch die verzögerte Übermittlung erst einige Tage nach Feststellung der Arbeitsunfähigkeit abrufbar sein kann. Sicherheit dürfte der Arbeitgeber in bestimmten Fällen, z.B. bei einem dazwischenliegenden Wochenende, spätestens erst am sechsten Tag der AU haben; dies ist deutlich später als bisher bei der Vorlagepflicht durch den Arbeitnehmer.
Bei Privatversicherten oder Erkrankung im Ausland gelten die Neuregelungen dagegen nicht.
Was für die Praxis allerdings noch einmal bedeutsam wird ist jedoch das Versäumnis des Gesetzgebers, auch das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers anzupassen. Bislang konnte der Arbeitgeber von seinem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch machen (also die Lohnzahlung verweigern), wenn die AU nicht am vierten Tag der AU vorgelegen hat. Da diese Regelung, die sich in § 7 Abs. 1 EFZG findet, im Zuge der Gesetzesänderungen nicht angefasst wurde, entfällt diese Möglichkeit zukünftig.
Wir tendieren aber zu der Auffassung, dass sich hier eine analoge Sichtweise durchsetzen wird und der Arbeitgeber spätestens dann, wenn er keine eAU abrufen kann und der Arbeitnehmer die ärztliche Feststellung der AU nicht anderweitig nachweisen kann auch in diesen Fällen die Entgeltfortzahlung verweigern kann.
Abweichen kann man im Übrigen von der Neuregelung nicht, auch nicht durch „freiwillige“ Vorlage der AU, die der Arbeitnehmer noch immer von seinem Arzt erhält.
Wir empfehlen daher allen Mitgliedern, sich frühzeitig mit ihren Lohnbuchhaltern auf dieses Thema einzustimmen und bei externer Vergabe die erforderliche Kommunikation auch unter Berücksichtigung des Datenschutzes zu besprechen.
Besonderheiten gibt es im Übrigen auch bei Minijobbern. Daher hat die Minijob-Zentrale weiterführende Informationen bereitgestellt. Da sich bei den Minijobs auch noch weitere Dinge geändert haben, werden wir dazu Anfang 2023 noch ein Online-Seminar anbieten.
Verden, 19.11.2022