Rechtsprechung

Verfall von tarifvertraglichem Mehrurlaub?

Kann tarifvertraglich geregelter Mehrurlaub trotz fehlender Belehrung des Arbeitegbers verfallen? Ja, so das BVerwG in seinem Urteil v. 11.04.2024 - Az 2 A 6.23. Die Entscheidung betrifft aber den Mehrurlaub von Beamten, die keine Arbeitnehmer sind. Trotz allem lässt das Urteil einen Spielraum erkennen, der auch für tarifvertragliche Regelungen bei Arbeitnehmer/-innen Auswirkungen haben könnte. In den Leitsätzen des BVerwG heisst es:

1. Das gemäß § 126 Abs. 3 BRRG, § 126 Abs. 2 Satz 1 BBG i. V. m. §§ 68 ff. VwGO in allen beamtenrechtlichen Streitverfahren vor der Klageerhebung durchzuführende Vorverfahren kann als Sachurteilsvoraussetzung noch während des Prozesses nachgeholt werden.

2. Die Regelung über den Verfall des Urlaubs in § 7 Abs. 2 EUrlV ist von der Verordnungsermächtigung des § 89 Satz 2 BBG gedeckt.

3. Der Verfall des Mehrurlaubs tritt nach § 7 Abs. 2 EUrlV unabhängig davon ein, ob der Kläger von seinem Dienstherrn über diesen Umstand belehrt worden ist. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu den Belehrungspflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer zum Verfall des Urlaubsanspruchs betrifft ausschließlich den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub, nicht hingegen einen darüber hinausgehenden Mehrurlaub.

Mit dieser Entscheidung führt das BVerwG richtigerweise aus, dass der EuGH die Geltung seiner Rechtsprechung zu Art. 7 RL 2003/88/EG folglich nur für den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub beansprucht. Der darüberhinausgehende Mehrurlaub sei dagegen rein nationalrechtlich zu beurteilen.

Das Bundesarbeitsgericht vertritt hierzu im Übrigen aber auch keine hierzu abweichende Rechtsprechung, sondern kommt lediglich aufgrund anderer normativer Regelungen im Bundesurlaubsgesetz und in Tarifverträgen teilweise zu dem Ergebnis, dass sich Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers auch auf tarifvertragliche Urlaubsregelungen erstrecken können.

14.06.2024 MdC

Vertraglicher Anspruch auf Weihnachtsgeld trotz geändertem Tarifvertrag?

Man könnte die Entscheidung des BAG (Urteil v. 20.03.2024, Az. 5 AZR 161/23) vom so zusammenfassen:

Wenn tarifgebundene Arbeitgeber in ihren (Formular-) Arbeitsverträgen den bei ihnen geltenden Tarifvertrag mit einer uneingeschränkten Bezugnahmeklausel in das Arbeitsverhältnis einbeziehen, wird damit klar ausgedrückt, dass das Arbeitsverhältnis umfassend nach den entsprechenden tariflichen Regelungen gestaltet werden soll. In solchen Fällen bedarf es für die Annahme, mit weiteren Regelungen des Arbeitsvertrags solle eine konstitutive Besser- oder Schlechterstellung gegenüber diesen tariflichen Regelungen vereinbart werden, besonderer Anhaltspunkte.

Im hier entscheidenen Verfahren hatte ein Arbeitnehmer ein Weihnachtsgeld begehrt, da in seinem Arbeitsvertrag die Klausel stand "Die Bezüge werden 13 mal jährlich bargeldlos gezahlt.“

Für das Arbeitsverhältnis galt aber auf Grund einer umfassenden Bezugnahme ein Tarifvertrag, der im Zuge der Coronapandemie geändert wurde und kein Weihnachtsgeld mehr vorsah. Der Arbeitnehmer versuchte hier erfolglos, dass Weihnachtsgeld geltend zu machen. Das BAG sah in der Formulierung keinen Anhlaltspunkt dafür, dass ein solches Weihnachtsgeld gezahlt werden soll, wenn der entsprechende Tarif dieses nicht mehr enthalte.

Die Entscheidung war zu erwarten und ist zu begrüßen, da lediglich in Fällen echter Rückwirkung noch einmal andere Bewertungsmaßstäbe gelten. Bei echten Rückwirkungen wird aber rückwirkend in einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt eingegriffen, was bei einer (zukünftigen) Änderung eines Tarifvertrages gerade nicht der Fall ist.

 

14.06.24 MdC

 

Urlaub in der Quarantänezeit?

Der EuGH hatte bereits vor einiger Zeit entschieden,  dass es Arbeitnehmern mit dem bezahlten Jahresurlaub ermöglicht werden soll, sich von der Arbeit zu erholen und einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu haben. Anders als eine Krankheit stehe aber ein Quarantänezeitraum als solcher der Verwirklichung dieser Zwecke nicht entgegen. Etwaige Nachteile durch so ein unvorhergesehenes Ereignis seien daher nicht vom Arbeitgeber auszugleichen.  Dem schloss sich gestern nun auch das Bundesarbetsgericht an (BAG v. 28.05.2024, Az 9 AZR 76/22). Der Volltext ist nich nicht veröffentlicht.

29.05.24 MdC

Auf Urlaub kann im laufenden Arbeitsverhältnis auch vertraglich nicht verzichtet werden

Das LAG Köln (Urt. v. 11.04.24, AZ. 7 Sa 516/23) stellte fest, dass auf Urlaubsansprüche im laufenden Arbeitsverhältnis auch vertraglich nicht verzichtet werden kann. Der in diesem Verfahren geschlossene Vergleich war hinsichtlich des Verzichts auf Urlaubsabgeltung deshalb unwirksam. Vertragliche Verzichtsklauseln können erst nach Beendigung des ARbietsverhältnisses wirksam vereinbart werden. Im Urteilstext liest sich das so:

Das Urteil war so zu erwarten und schließt an die bisherige Rechtsprechung an.

29.05.2024 MdC

Bezugnahmeklauseln verweisen im Zweifel dynamisch auf den ganzen Tarifvertrag

Das Hessische LAG (Urt. v. 1.3.24, Az. 10 Sa 911/23) musste sich mit einem Arbeitsvertrag beschäftigen, der abgesehen von abweichenden Vergütungsregelungen (außertarifliche Vergütung, Überstundenabgeltungsklausel etc.) auf einen Tarifvertrag Bezug genommen hat und die Formulierung "Sämtliche weiteren Vertragsbestandteile, wie Urlaubsanspruch, Urlaubsgeld, Sonderzahlung etc. richten sich nach den tarifrechtlichen Bestimmungen ....."enthielt.

Das LAG entschied, dass damit auf den gesamten Tarif Bezug genommen worden ist. In den Leitsätzen heißt es:

1. Bei einer Auslegung einer Bezugnahmeklausel ist in der Regel davon auszugehen, dass die Arbeitsvertragsparteien nicht nur auf bestimmte Regelungsgegenstände, sondern auf den gesamten Tarifvertrag verweisen wollten.
2. Auf eine arbeitsvertragliche Klausel, die auf einen Tarifvertrag Bezug nimmt, findet § 305c Abs. 2 BGB grundsätzlich keine Anwendung. Es kann nämlich nicht je nach Gegenstand des Rechtsstreits von Fall zu Fall anders entschieden werden, ob die Anwendung des Tarifvertrags zu einer für den Arbeitnehmer günstigeren Regelung führt.

 

Urlaubsanspruch während eines Sabbaticals?

Auf diese Idee kam eine Arbeitnehmerin, die während der Ansparphase auf ihr Sabbatical bereits ihren Urlaub in Anspruch genommen hatte, später aber für die Freistellungsphase ebenfalls noch einmal Urlaubstage geltend machen wollte.

Dem folgte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg aber nicht. In seinem Urteil (Urt. v. 16.02.2024, Az 1 Sa 1108/23) heißt es dazu in den Leitsätzen:

 " 1. Ein Sabbatical, also eine verblockte Teilzeit aufgrund einer arbeitsvertraglichen Vereinba rung, führt nicht zu einer vergütungspflichtigen Mehrarbeit in der Ansparphase. Vielmehr ver einbaren die Arbeitsvertragsparteien, dass der Arbeitnehmer während der gesamten Laufzeit des Sabbaticals in Teilzeit arbeitet. Während der aktiven Phase wird dabei ein Wert- bzw. Zeitguthaben aufgebaut durch Erhö hung der vereinbarten Teilzeit, während in der passiven Phase eine völlige Freistellung unter Weiterzahlung der vereinbarten (Teilzeit)Vergütung erfolgt.

2. Urlaubsrechtlich besteht für die Zeit der völligen Freistellung kein gesetzlicher oder tarif vertraglicher Anspruch auf Erholungsurlaub. Da der gesetzliche Urlaubsanspruch jahresbezo gen zu ermitteln ist, ist bei einer geringeren völligen Freistellung als 12 Monate der Urlaubs anspruch für das betreffende Jahr nach der Formel Anzahl der Urlaubstage x Anzahl der Ta ge mit Arbeitspflicht : 312 Werktage bzw. 260 Arbeitstage bei einer 5-Tage-Woche zu errech nen (im Anschluss an BAG 19.03.2019 - 9 AZR 315/17 - sowie BAG 3.12.2019 - 9 AZR 33/19 und die Rechtsprechung des EuGH 8.11.2012 - C-229/11 - und C-230/11 - sowie zuletzt vom 25.11.2021 - C-233/20 - )"

 

Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen.

24.05.2024 MdC

Nachweis des Zugangs einer Kündigungserklärung

Kündigungen sind nur wirksam, wenn sie schriftlich erfolgen. Was aber, wenn man die Kündigung nicht persönlich übergeben kann? Die Methode "Einschreiben" ist mit einigen Unsicherheiten verbunden, wie auch nun wieder eine aktuelle Entscheidung aus Baden-Württemberg zeigt (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 12.12.2023, Az.:15 Sa 20/23). Im Leitsatz führt das LAG aus:

"1. Ist der Zugang einer schriftlichen Erklärung streitig und beruft sich der darlegungs- und beweisbelastete Absender auf einen Zugang beim Empfänger per Einwurf-Einschreiben der Deutschen Post AG, begründet die Kombination von Einlieferungsbeleg der Post und Sendungsstatus der Post noch keinen Beweis des ersten Anscheins für den Zugang.
2. Die Aussagekraft eines Sendungsstatus unterscheidet sich von derjenigen der Reproduktion eines Auslieferungsbelegs darin, dass hinter dem Sendungsstatus kein individueller, konkreter Mensch als Gewährsperson steht, während der Auslieferungsbeleg die Unterschrift des Postzustellers trägt. Kann keine Reproduktion des Auslieferungsbelegs von der Deutschen Post AG mehr zur Verfügung gestellt werden, fällt dies in die Risikosphäre des Absenders."

 

Arbeitgeber sind daher gut beraten, sich den Auslieferungsbeleg immer gleich ausstellen zu lassen sobald die Kündigung zugegangen ist. Besser ist allerdings nach wie vor die persönliche Übergabe (mit Empfangsbekenntnis) oder der persönliche Einwurf in den Briefkasten des Empfängers (mit Zeugen!).

24.05.2024 MdC

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