Rechtsprechung

Eingruppierung stellvertretende Leitung im öffentlichen Dienst

Wie wichtig eine ausdrückliche Bestellung zur stellvertretenden Leitung im Tarifwerk des öffentlichen Dienstes ist, das zeigt eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Gera (Urteil vom 29.06.2022 - 1 Ca 326/21Urteil vom 29.06.2022 - 1 Ca 326/21).

In dem Verfahren wurde der Klägerin die Leitungsstelle für Urlaubs- und Krankheitsfälle übertragen, jedoch keine "ständige Vertretung". Die Klägerin scheiterte daher auch mit ihrem Höhergruppierungsantrag.

Für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sollte u.E. auf eine ständige Vertretung geachtet werden. Eine reine Urlaubs- und Krankheitsvertretung dürfte sehr viel weniger in der Lage sein, die Vertretung einer Leitungskraft wahrzunehmen. Letztendlich benötigen auch Vertretungskräfte eine ständige "Übung" in Leitungsaufgaben und nehmen i.d.R. ja auch den originären Leitungskräften in der Praxis häufig schon verschiedene Aufgaben ab. Gemäß der Protokollnotiz 4 der SUE-Eingrupperungen "soll" eine solche ständige Vertretung auch bestellt werden. Diese Bestellung muss dann aber auch vorgenommen werden, sofern man darüber eine entsprechende Höhergruppierung erreichen will.

 

13.09.2022 MdC

Keine Beschäftigungspflicht für ungeimpfte Pflegekräfte

Das LAG Hessen hat in gleich zwei Verfahren  (Urteile vom 11.08.2022, Az. 5 SaGa 728/22 und 7 SaGa 729/22) die Eilanträge von in der Pflege tätigen ungeimpften Pflegekräften in einem Seniorenheim auf weitere Beschäftigung abgewiesen.

Die Arbeitgeberin hatte die Pflegekräfte im März 2022 freigestellt. Dies begründete sie mit der seit 15. März 2022 bestehenden Pflicht nach § 20 a Infektionsschutzgesetz, wonach Personen, die in Einrichtungen zur Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen arbeiten, über einen Impfnachweis oder z.B. einen Genesenennachweis verfügen müssen. Das LAG ist – wie bereits die Vorinstanz – zu dem Ergebnis gekommen, dass die nicht geimpften Pflegekräften keinen Anspruch darauf haben, in ihrem Arbeitsverhältnis beschäftigt zu werden. Der erforderliche Impfnachweis wirke wie eine berufliche Tätigkeitsvoraussetzung.

Bei der Interessenabwägung habe die Arbeitgeberin zu recht die Arbeitnehmer freistellen dürfen, da das schützenswerte Interesse der Heimbewohnerinnen vor einer Gefährdung ihrer Gesundheit und ihres Lebens bewahrt zu werden, das Interesse der Pflegekräfte auf Beschäftigung überwiege.

Die Entscheidung dürfte auch für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe relevant sein, in denen eine einrichtungsbezogene Impfpflicht besteht.

MdC 09.09.2022

Gefälschter Testnachweis kann zur außerordentlichen fristlosen Kündigung führen

Mit Urteil vom 15.6.2022 (Az 2 Ca 25/22) hat das ArbG Mannheim entschieden, dass die Vorlage eines gefälschten SARS-CoV-2-Testnachweises einen die Arbeitgeberin „an sich“ zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung berechtigenden Pflichtverstoß i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darstellt.

In Anbetracht der besonderen gesundheitlichen Gefahren handelt es sich um eine erhebliche Verletzung der aus dem Arbeitsvertrag gemäß § 241 Abs. 2 BGB folgenden Nebenpflichten. Durch die (versuchte) Täuschung der Arbeitgeberin, negativ auf das SARS-CoV-2-Virus getestet worden zu sein, hat der Arbeitnehmer das in ihn gesetzte und für die Fortführung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört.

Immaterieller Schaden bei Verstoß gegen die DSG-VO

Das BAG hat mit Urteil v. 5.05.2022 (Az 2 AZR 363/212 AZR 363/21) die Revision gegen ein Urteil des LAG Hamm zurückgewiesen, welches der Klägerin einen immateriellen Schadenersatz i.H.v. 1.000 € zugesprochen hatte, da der Arbeitgeber der Klägerin zunächst keine Auskünfte zu älteren Arbeitszeitnachweisen und Vergütungen erteilt hatte.

Arbeitsrechtlich ist die Entscheidung trotzdem interessant, da insbesondere ein Verstoß von Auskunftspflichten des Arbeitgebers auch einen immateriellen Schadensersatzanspruch nach sich ziehen kann.

Masernimpfpflicht verfassungskonform

Das BVerfG hat die faktische Impfpflicht gegen Masern für verfassungskonform erachtet. Das BVerfG schreibt dazu in den Leitsätzen:

Das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) ist Freiheitsrecht im Verhältnis zum Staat, der in das Erziehungsrecht der Eltern nicht ohne rechtfertigenden Grund eingreifen darf. In der Beziehung zum Kind bildet aber das Kindeswohl die maßgebliche Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung. Die Entscheidung über die Vornahme von Impfungen bei entwicklungsbedingt noch nicht selbst entscheidungsfähigen Kindern ist ein wesentliches Element der elterlichen Gesundheitssorge und fällt in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Bei der Ausübung der am Kindeswohl zu orientierenden Gesundheitssorge für ihr Kind sind die Eltern jedoch weniger frei, sich gegen Standards medizinischer Vernünftigkeit zu wenden, als sie es kraft ihres Selbstbestimmungsrechts über ihre eigene körperliche Integrität wären.

BVerfG, Beschlüsse 1 BvR 469/20 u.a. vom 21.07.2022

Betriebsvereinbarung und LEQ

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat mit Urteil v. 29.06.2021 (Az. 5 Sa 297/20) entschieden, dass eine Betriebsvereinbarung unter einer aufschiebenden Bedingung geschlossen werden kann, wenn der Eintritt der vereinbarten Bedingung für alle Beteiligten, auch für die Arbeitnehmer als Normunterworfene, ohne Weiteres feststellbar ist.

Für die Kinder- und Jugendhilfe ist diese Entscheidung deshalb so interessant, weil die streitgegenständliche Betriebsvereinbarung unter anderem die Umsetzung von Lohn- und Gehaltssteigerungen unter den Vorbehalt des Abschlusses einer entsprechenden LEQ-Vereinbarung des Trägers gestellt hat. Die Betriebsvereinbarung enthielt dazu den Passus:

„Voraussetzung für die Neufestlegung der Gehälter sowie die Ein- / Höhergruppierung ist, dass eine Refinanzierung der Gehaltssteigerungen mit dem Kostenträger, Landkreis…, vereinbart wird und die Refinanzierung sichergestellt ist. Die Gehaltserhöhungen und/oder Höhergruppierungen werden zum 1. des Folgemonats nach abgeschlossener Entgeltverhandlung aller Bereiche mit dem Kostenträger umgesetzt.“

Man mag diese Entscheidung begrüßen, wenn man alleine die finanzielle Sicherheit des Trägers vor Augen hat. Und auch wenn die Entscheidung zudem arbeitsrechtlich richtig sein mag, im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe erscheint sie systemwidrig, weil dadurch das System prospektiv zu verhandelnder Entgelte quasi durch die Hintertür schon beinahe wieder auf ein Kostenerstattungssystem zurückgeführt wird.

Unseres Erachtens ist es grundsätzlich eher anzuraten, zukünftige Tariferhöhungen prospektiv zu verhandeln und -wenn überhaupt- eine Vereinbarung über eine Neuverhandlung bei abweichenden Tarifergebnissen zu vereinbaren.

Mit o.a. Betriebsvereinbarung vergibt man die Chance, die Lohn- und Gehaltssteigerungen prospektiv zu kalkulieren und kommt wohl meist auch erst Monate nach der Tariferhöhung zu einer Lohnsteigerung.

Fazit: In Einzelfällen mag es angeraten sein, empfehlenswert sind zunächst andere Wege

Krankheitsbedingte Kündigung bei häufigen Kurzzeiterkrankungen und BEM

Das LAG Düsseldorf hatte sich in einem aktuellen Urteil (17.05.2022, 14 Sa 825/2114 Sa 825/21) noch einmal mit dem Prognosezeitraum befassen müssen, der für eine krankheitsbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzzeiterkrankungen ausrechend ist. Zudem musste sich das Gericht in demselben Verfahren mit dem einvernehmlichen Abbruch eines BEM auseinandersetzen.

Das Gericht führte dazu aus:

1. Ein Referenzzeitraum von zwei Jahren vor Ausspruch einer personenbedingten Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen kann eine hinreichende Basis der negativen Prognose zukünftiger Arbeitsunfähigkeiten sein.

2. Zur Feststellung zu erwartender Entgeltfortzahlungskosten von mehr als sechs Wochen jährlich: Bei Anwendung eines 6/2-Schichtsystems müssen die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten insgesamt 31,5 Arbeitstage jährlich übersteigen.

3. Das betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) ist jedenfalls dann abgeschlossen, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig sind, dass der Suchprozess durchgeführt ist oder nicht weiter durchgeführt werden soll (BAG 18.11.2021 - 2 AZR 138/21 - Rn. 29). Wie der Arbeitnehmer von vornherein die Zustimmung zur Durchführung eines bEM nicht erteilen kann, sodass es überhaupt nicht begonnen wird, so kann das bEM einvernehmlich beendet werden, und zwar unabhängig davon, wie weit es vorangebracht wurde. Es kommt dann darauf an, ob der Arbeitnehmer die notwendigen Kenntnisse über das bEM-Verfahren besaß, um beurteilen zu können, ob es beendet oder fortgesetzt werden sollte.

 

Die sachgerechte Entscheidung bestätigt im Grunde genommen die bisherige Rechtsprechung. Lesenswert ist die Entscheidung, da sie gut und übersichtlich auch auf die bisherige Rechtsprechung Bezug nimmt.

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